Kommentar zu dem Beitrag
„Der kollektive Schatten Deutschlands. Oder: Wieviel Faschismus steckt immer noch in uns Deutschen? Von Gotthilf Freudenreich, NDS vom 09. März 2022
https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=gotthilf-freudenreich
Klaus-Jürgen Bruder
An diesem überaus gut gemeinten und politisch informierten und reflektierten Artikel sieht man, welche gefährlichen Folgen die einfache und unkritische Übertragung der Psychologie auf politische Zusammenhänge haben kann.
Es geht dem Autor darum, den gegenwärtig in der unglaublichen Hetze gegen Russland für jeden Menschen sichtbaren Faschismus zu erklären und zu bearbeiten.
Seine Annahmen sind die von Freud bekannten:
„Ich gehe davon aus, dass die gleichen Grundgesetze, die eine einzelne Person determinieren, grundsätzlich auch für die kollektive Psyche einer Gesellschaft gelten“.1
Daraus lasse sich ableiten, „dass auch Deutschland als Ganzes auf Dauer nicht umhinkommen wird, sich der oben beschriebenen Abspaltung und Verdrängung zu stellen.“
Das heiße, „dieses Thema muss durch eine öffentliche Auseinandersetzung in das eigene Bewusstsein geholt und als Teil der deutschen Geschichte anerkannt werden.“
Das betreffe „nicht nur die Fehlinterpretation des Faschismus als zufälliges Ereignis oder den Völkermord an den Russen, sondern auch die jahrzehntelange Verdrängung dieser beiden Fakten in der Nachkriegszeit.“
Den entscheidenden Unterschied: zwischen Individuum und Gesellschaft lässt er aus seiner Betrachtung verschwinden, nämlich
die Tatsache der gesellschaftlichen Organisation der Individuen zu einer Gesellschaft: die Struktur von Klassen, Klassenteilung, die sich aus ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln ergibt, aus der sich wiederum ihre sozioökonomischen Interessen ergeben.
Mit deren Verschwinden verschwindet auch das Subjekt der von ihm kritisierten Zustände aus dem Horizont seiner Betrachtung, ebenso wie die Geschichte von Klassenkampf, Klassenherrschaft, deren Geschichte die aller bisherigen Gesellschaft ist.
Die Geschichte der letzten beiden Jahre zeigt uns aber zur Genüge wie mit atemberaubender Geschwindigkeit aus einer Gesellschaft gemütlichen Mitläufertums eine das autokratischen Totalitarismus werden konnte.
Diese Veränderung haben die Millionen Einzelner, der Bürger mitgemacht, eben Mitläufer, aber es stand nicht in ihrer Wahl, sondern sie wurden vielmehr dazu verführt, überrumpelt, in Panik versetzt, also mehr oder weniger dazu gezwungen,
in dieser Verführung, die im Impfzwang endete, spielten die Medien, ihre Agitation, Propaganda, ihre Bilder, ihre ununterbrochene Verbreitung falscher Daten und Behauptungen eine zentrale Rolle. Täglich drängten die sehr schnell zu „Führern“ gemauserten Figuren: Drosten, Wieler, und vor allem Lauterbach sich in die Wohnzimmer der verängstigten und vereinzelten Menschen und bedrängten sie.
Im Hintergrund wurden nach und nach sämtliche Grundrechte außer Kraft gesetzt, in den Medien die Einschüchterung demonstrierender Kritiker durch die Polizei demonstrativ zur Schau gestellt, zur Disziplinierung der Bevölkerung, die dieses Schauspiel nur am Fernseher miterlebte.
Diesen entscheidenden Unterschied zwischen der Psychologie des einzelnen und der der Bevölkerung außer Acht zu lassen bedeutet zugleich die Verantwortlichen aus dem Blick zu verlieren und stattdessen den „Faschismus in uns“, in jedem einzelnen von uns dingfest und haftbar zu machen.2
1 Das ist die berühmte Freudsche Verkehrung von individuellem und gesellschaftlichem, die Verlagerung der äußeren Ursachen ins Innere (des psychischen Apparats): s. Klaus-Jürgen Bruder (2002) Phantasma der Macht. https://klaus-juergen-bruder.de/phantasma-der-macht; s.a. die freudsche Erzählung von Ödipus als Mythos der Macht. In: K.-J. Bruder & A. Bruder-Bezzel (Hg.) Individualpsychologische Psychoanalyse. Frankfurt/New York: (Europäischer Verlag der Wissenschaften Peter Lang) 2006; https://klaus-juergen-bruder.de/die-freudsche-erzaehlung-von-oedipus-als-mythos-der-macht
2 sowie Adler das bereit für den Ersten Weltkrieg beschrieben hat: Adler, Alfred (1919): Die andere Seite. Eine massenpsychologische Studie über die Schuld des Volkes. Wien. [Reprint (Faksimile) 1994, hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Almuth Bruder-Bezzel].