In der 70 Seiten umfassenden Veröffentlichung wurden sowohl die Daten des Mikrozensus 2008 und 2009 im Hinblick auf die Thesen Thilo Sarrazins untersucht als auch 20 repräsentative Studien der renommiertesten deutschen Forschungseinrichtungen berücksichtigt und analysiert.
Vorrangig befasst sich die Analyse mit Sarazins 7. Kapitel „Integration und Zuwanderung”, da dort insbesondere die Thesen zu „Muslimen” zu finden sind.
Die Analyse zeigt klar auf, dass Sarazin keineswegs Vorreiter einer Debatte ist, sondern im Gegenteil selbst den Stand der Forschung nicht zu kennen scheint.
Die Vorwürfe ihm gegenüber lauten:
1. Er habe eigentlich die Wahrheit angesprochen – sich nur im Ton vergriffen.
2. Im Kern habe er Recht, nur mit der Genetik, das war zu viel.
Wenn am Ende in der Kernlandschaft die Botschaft hängenbleibt, Thilo Sarrazin habe eigentlich 2 Bücher geschrieben – ein richtiges über die Integrationsprobleme und ein falsches über die Genetik, dann ist das eine Aussage, die darauf schließen lassen könnte, dass sich bis dato kaum jemand die Mühe gemacht hat, sein Kapitel zu Integration und Zuwanderung ausführlich zu analysieren. Wenn diese Botschaft im Kern im Gedächtnis zurückbleibt, dann womöglich, weil er es durch seine selbstgewisse Darstellung in den Medien geschafft hat, seinem Buch den Nimbus der empirischen Sicherheit zu geben.
Tatsächlich bleibt Sarrazins Buch gerade für dieses 7. Kapitel zu „Zuwanderung und Integration” unwissenschaftlich und analytisch falsch.
Seine Quellen für dieses Kapitel basieren über weite Strecken auf Hinweisen von Journalisten, teilweise populistischen Werken, Hinterzimmergesprächen und zu einem geringeren Teil – dort wo es gilt, besonders abwertende Aussagen zu untermauern – auf eingestreute Zahlen des Mikrozensus und wenigen, aus dem Zusammenhang gerissenen Studien. Das Problem bleibt, dass sich seine Aussagen mit dem Bauchgefühl einer verunsicherten Menge decken, deren Alltagskontakte zu Muslimen sich, sofern sie überhaupt vorhanden sind, durch negativ empfundene Wahrnehmungen im Öffentlichen Raum, z.B. in der U‑Bahn, in Stadtvierteln oder über Medienbilder generieren.
Nach der Analyse erhärtet sich der Verdacht, dass Sarrazin sich sein Urteil – wie viele andere auch – bereits vor der Abschrift gebildet hatte und gezielt nach Aussagen, Zahlen und Hinweisen gesucht hat, die diese Position stützen. Erkenntnisse, Fakten und Entwicklungen, die zahlreich und offenkundig sind, aber seine Hypothesen in Frage stellen könnten, hat er gezielt weggelassen – dies widerspricht entscheidend seinem wissenschaftlichen Anspruch.
Damit hat er eine fatale Entwicklung eingeleitet: Er hat den Lesern suggeriert, dass sein Buch wissenschaftlich, ergo glaubwürdig ist. Er hat dadurch diejenigen Wissenschaftler, die seinen Thesen widersprechen, letztlich als Lügner, Feiglinge oder Dummköpfe dargestellt. Auf die verunsicherte Masse, die seinem Buch zu dieser starken Auflage verholfen hat, wirkt er daher wie jemand, der sich endlich traut, die aufgestaute Mulmigkeit beim Namen zu nennen, während selbst die renommiertesten und profiliertesten Wissenschaftler auf diesem Feld wie Klaus Bade oder Wilhelm Heitmeyer als unglaubwürdig wahrgenommen werden und Studien wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verrohung der Mittelschicht oder der Universität Münster zur höchsten islamophoben Einstellung in Deutschland einfach weggewunken werden.
Es ist bitter, dass diese Debatte nicht vor fünf Jahren so öffentlich geführt wurde, z.B. im Vorfeld des Integrationsgipfels 2006. Nun, da die Integrations-Erfolge großflächig wirksam und kleinteilig offensichtlich wurden und der mühsame Prozess der Vergemeinschaftung in die richtige Richtung zu gehen schien, kracht dieses Buch mit seiner unverhohlenen Verachtung gegenüber Migranten genau in die verunsicherte Mittelschicht, die gerade anfing, sich an ein Deutschland zu gewöhnen, das vielfältig ist und sein wird. Dabei kann es nicht als Alibi dienen, wenn Sarrazin betont, er meine nicht alle „Migranten”…
Einer von Thilo Sarrazins Kernsätzen lautet, man habe ihn bis dato „bei seinen Zahlen nicht wiederlegt”.
Sie können sich mit diesem Dossier ein eigenes Bild davon machen.
Wir erheben mit der Zusammenstellung dieses Datenmaterials weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch den auf Letztgültigkeit. Wir möchten nur Jenen, die sich nicht hauptberuflich mit der Analyse von Zahlen und Daten beschäftigen eine Möglichkeit geben, das Material zu lesen und ihnen einen Zugang zu den Daten und ihrer Analyse ermöglichen.
Das Dossier wird zu Beginn des Neuen Jahres auch in den Druck gehen.
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