(erschienen in der Zeitschrift Ossietzky, Heft 8/15)
Psychologie befaßt sich mit dem Innenleben, Soziologie mit den äußeren Umständen; Politik ist dann die praktische Anwendung im Dienste von Interessen und Macht. Eine überholte Sicht – oder? Während Psychologen und ihre Berufsverbände angesichts des wachsenden Heeres von Bedürftigen dafür kämpfen, ein Stück vom Kuchen auf dem Markt der Heilung (oder Reparatur) zu ergattern, konzentrieren sich die Soziologen mal kritisch, mal affirmativ auf die gesellschaftlichen Strukturen. Eine wissenschaftliche Vereinigung, die sich systematisch der gesellschaftlichen Bedingtheit des Psychischen widmet und sich an Alltagsnähe und Praxisbezug orientiert, ist die Neue Gesellschaft für Psychologie, die Anfang März einen Kongreß in Berlin veranstaltete.
„Krieg um die Köpfe“ war das Thema, bei dem ein Diskurs um die „Verantwortungsübernahme“ geführt werden sollte. Mit „Verantwortung“ sind hier die von Gauck, von der Leyen und Steinmeier propagierten Militäreinsätze in aller Welt gemeint, die gegenwärtig bereits praktiziert werden und noch weiter ausgebaut werden sollen. In nicht weniger als 32 Vorträgen und Foren ging es um die brisante Militarisierung von Politik und Gesellschaft und um die strammen Bemühungen, sie in Anbetracht der überwiegenden Ablehnung weltweiter Militäreinsätze in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern.
Leben wir bereits im Vorkrieg? Ist die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? Welche Rolle spielen die Medien in der neuen Welt-Kriegsordnung, lügen ARD und ZDF? Wie werden zivile Kriegsopfer als Kollateralschaden abgehakt und wegdefiniert? Wird Resilienz im neoliberalen Diskurs als Eigenverantwortung funktionalisiert? Feindbilder, Gewissen, Menschenrechte, Traumatherapie als Kriegsdienst – die Perspektive war weit gesteckt. Der Soziologe Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie ander Universität Tel Aviv, eröffnete den Kongreß mit einem Vortrag, der am Beispiel Israels zeigte, wie der Krieg die Gesellschaft im Inneren verändert.
Daß bei den Vorträgen – wie in der Neuen Gesellschaft für Psychologie insgesamt – die psychoanalytische Sicht überwog, ist sicher kein Zufall. Hat doch in der akademischen Ausbildung lange Zeit eine empiristische „Laborpsychologie“ den Blick auf gesellschaftlich bedeutende größere Zusammenhänge verhindert. Vollends ausgemerzt wird die kritische Sicht der Gesellschaft durch den Bologna-Prozeß – die europäische Studienreform, die in thematischer und methodischer Verengung eine kurzfristige Verwertbarkeit fördern soll. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, wenn dem Kongreß die Veranstaltungsräume an der Freien Universität Berlin nicht mehr unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden.
Der Kongreß war durchaus in der Lage, dem Krieg um die Köpfe durch kritische Reflexion und Aufklärung ein ziviles Signal entgegenzusetzen. Angesichts der neoliberalen und neokolonialistischen Verheerungen in aller Welt werden der Neuen Gesellschaft für Psychologie (die ausdrücklich „gesellschaftliche Verantwortung für eine humane Gestaltung menschlichen Zusammenlebens“ als Ziel hat) die Themen nicht ausgehen; ihr sind ein langer Atem und ausreichende Finanzmittel zu wünschen, um ihre notwendige Arbeit fortsetzen zu können.