Berlin, Ostern 2014
An den Präsidenten der
Bundespsychotherapeutenkammer
Prof. Dr. Rainer Richter
Klosterstr 64
10179 Berlin
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Richter,
die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) hat sich am 09. März 2014 in einer Stellungnahme gegen die Zusammenarbeit der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) mit der Bundeswehr und dem Bundesverteidigungsministerium gewandt. In Ihrer Antwort auf unsere Erklärung haben Sie von Missverständnissen unsererseits gesprochen und ein Gespräch angeboten, um diese Missverständnisse über Ihre Kooperation mit der Bundeswehr auszuräumen. Wir möchten aber stattdessen weiter öffentlich über diese Kooperation debattieren und wollen Ihnen hier unseren Standpunkt vertiefend erläutern. Inzwischen hat auch die Ärzteorganisation IPPNW eine kritische Stellungnahme zur Ihrer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr abgegeben, der wir voll zustimmen.
Ihre Bemühungen, zivilen PsychotherapeutInnen ohne Kassensitz in Privatpraxen die Behandlung von SoldatInnen zu ermöglichen, hatten einen längeren Vorlauf. Noch im Juni 2013 klagte Ihre Kammer, die deutschen Streitkräfte blockierten die „schnelle psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Soldaten“, indem sie diesen die Nutzung von Privatpraxen untersagten. Im September vergangenen Jahres unterzeichnete die Kammer dann eine Vereinbarung mit dem Verteidigungsministerium, die Hindernisse für Behandlungen in Privatpraxen aus dem Weg räumte.
Am 13. März fand in Berlin im Offiziersheim der Blücher-Kaserne eine erste Fortbildung der Bundeswehr für privat abrechnende PsychotherapeutInnen statt. Die Veranstaltung eröffnete der Beauftragte des Verteidigungsministeriums für posttraumatische Belastungsstörungen, Brigadegeneral Klaus von Heimendahl. DozentInnen waren ausschließlich PsychologInnen und ÄrztInnen im Bundeswehrdienst. Die TeilnehmerInnen wurden unter anderem informiert über „Besonderheiten des Soldatenberufs“, über Spezifika einer „Heilbehandlung für die Bundeswehr“, über „aktuellen Einsatzgebiete und Einsatzsituationen“, und über das Thema „Truppenpsychologen im Einsatz – mit Soldaten auf Patrouille/auf Wache/im Feldlager“.
Dieses thematisch erstaunliche Fortbildungsprogramm war zuletzt der Anlass für unsere Erklärung. Hinzu kam Ihre Äußerung als Kammerpräsident, dass bei traumatisierten psychisch erkrankten Soldaten nach erfolgreicher Behandlung nichts gegen einen erneuten Auslandseinsatz spreche. Als NGfP sind wir zum einen aus politischen Gründen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Davon unabhängig lehnen wir auch eine Psychotherapie ab, für die das Wohl der Klientin/des Klienten nicht höchster Maßstab ist, die sich vielmehr in den Dienst der Bundeswehr und ihrer Ziele stellt.
Die psychischen Störungen von BundeswehrsoldatInnen, die sich seit einigen Jahren häufen und um deren Behandlung es geht, sind meist Folge traumatisierender Kriegserlebnisse im Ausland, etwa von Erlebnissen, bei denen Kameraden der Betroffenen getötet oder schwer verletzt wurden oder bei denen die betroffenen Soldaten selbst Menschen getötet oder verletzt haben.
Die traumatisierten Soldaten haben ein Recht auf therapeutische Hilfe. Es kann aber nicht Aufgabe von PsychologInnen sein, Reaktionen von SoldatInnen auf Kriegshandlungen wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneuten Erleben weg zu therapieren, um diese schnell für den nächsten Einsatz fit zu machen. Dies haben wir bereits in unserer Erklärung betont.
In Ihrer Antwort auf diese Erklärung widersprechen Sie unserer Kritik und schreiben, es sei „absurd und entbehrt jeder Grundlage, die Bundeswehr würde Behandlungsziele vorgeben“. Die Vereinbarung, die Sie im vergangenem September mit der Bundeswehr abgeschlossen haben, gliedert aber die Behandlung von Soldaten durch privat abrechnende TherapeutInnen in die truppenärztliche Versorgung ein. TruppenärztInnen sind rechtlich verpflichtet, vor allem für die Einsatzfähigkeit von SoldatInnen zu sorgen. Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit ist das ihnen vorgegebene Behandlungsziel.
BundeswehrsoldatInnen sind nicht krankenversichert. Sie haben keine freie Arztwahl. „Vielmehr erfolgt die Versorgung der Soldaten über den Truppenarzt. Dieser entscheidet, ob ein Soldat auf weitere Fachärzte zugreifen könne“, so sagte es auch eine Psychologin der Bundeswehr bei der oben erwähnten Fortbildung. Allein der Truppenarzt kann psychisch erkrankte Soldaten an freie Therapeuten überweisen. Der Therapeut habe dem überweisenden Truppenarzt Diagnose sowie Indikation und Therapieziel mitzuteilen, heißt es in den Informationen Ihrer Kammer zur „Behandlung von Soldaten in Privatpraxen“. Der Truppenarzt genehmige die Therapie und entscheide später auf Grundlage eines ausführlichen Berichts über Verlängerungen.
Der rechtlichen Regeln der truppenärztlichen Versorgung finden sich in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz. „Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung dient, …, der Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten. Sie umfasst alle damit im Zusammenhang stehenden notwendigen und angemessenen Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen“, heißt es einleitend in Paragraf 2 der Vorschrift.
Das übergeordnete Ziel der truppenärztlichen Versorgung ist somit die „Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit“. Die „Maßnahmen zur Gesunderhaltung“ dienen diesem Zweck. Nur zum Vergleich: Die Behandlung ziviler KassenpatientInnen hat nach dem Sozialgesetzbuch V „die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“. Hier steht die Gesundheit und nicht berufliche Einsatzfähigkeit im Vordergrund. Anders als Soldaten können Kassenpatienten den Arzt ihres Vertrauens wählen und müssen nicht immer zuerst einen bei ihrem Arbeitgeber angestellten Mediziner aufsuchen.
Bei den meisten körperlichen Leiden gibt es zwischen den Zielen „Gesunderhaltung“ von SoldatInnen und deren „Einsatzfähigkeit“ sicher keinen Konflikt: Je körperlich fitter der Soldat/die Soldatin, desto einsatzfähiger ist er/sie. Anders sieht es auf dem Felde der psychischen Gesundheit aus. Vor allem bei SoldatInnen, die durch Kriegseinsätze im Ausland erkrankt sind, ist ein Zielkonflikt zwischen psychischer Gesundung und „Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit“ ohne weiteres denkbar. Für eine Therapie, die von vornherein dem rechtlich von der Bundeswehr vorgegebenen Ziel „Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit“ folgt, ist das Wohl der KlientInnen daher nicht mehr oberster Maßstab.
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat in den Veröffentlichungen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr an keiner Stelle berufsethische Probleme angesprochen, die mit dem vorgegebenen Therapieziel „Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit“ verbunden sind. Stattdessen stand das Bestreben im Vordergrund, die Bundeswehr als neuen Auftraggeber für TherapeutInnen zu gewinnen.
Zudem hat die Kammer oder haben Sie Herr Richter auch die Probleme unerwähnt gelassen, die sich aus der Verschwiegenheitspflicht von SoldatInnen für eine Therapie ergeben. Erst auf der erwähnten Fortbildungsveranstaltung waren dann die Grundrechtsbeschränkungen im Wehrbereich und das Soldatengesetz Thema. Dieses Gesetz verlangt in Paragraf 14 vom Bundeswehrangehörigen, „über die ihm bei oder bei Gelegenheit seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren“. Aufgehoben ist die Verschwiegenheitspflicht nur für innerdienstliche Mitteilungen und für Tatsachen, „die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen“.
Selbst für Aussagen über dienstliche Begebenheiten vor Gericht oder in Ermittlungsverfahren brauchen SoldatInnen stets eine Genehmigung. Anders als das Gespräch mit dem Truppenarzt/der Truppenärztin, zählt die Sitzung bei externen TherapeutInnen kaum zum innerdienstlichen Verkehr. Damit dürfen SoldatInnen den TherapeutInnen nur offenkundige oder bedeutungslose Erlebnisse im Auslandseinsatz schildern. In den Mitteilungen der Kammer ist an keiner Stelle davon die Rede, dass SoldatInnen vor der ersten Sitzung beim externen Therapeuten von der Verschwiegenheitspflicht entbunden würden. Eine Therapie aber, in der der Traumatisierte/die Traumatisierte nicht offen und über alles sprechen kann, ist schlechterdings eine Absurdität.
Eine Psychotherapie traumatisierter SoldatInnen, die dem truppenärztlichen Ziel Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit folgt, lehnen wir aus ethischen und politischen Gründen ab. Therapie muss offen sein, auch gerade offen für die Erkenntnis der Klientin/des Klienten, dass Kriegseinsätze und Gewalt gegen Mitmenschen auch SoldatInnen krank machen können und künftig zu meiden sind. Politisch fügt sich die Vereinbarung Ihrer Kammer mit der Bundeswehr für uns in die Bestrebungen ein, mehr Akzeptanz für deutsche Kriegseinsätze im Ausland zu schaffen. Obwohl der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr, 1999 im Kosovo-Krieg gegen Jugoslawien, nunmehr 15 Jahre zurückliegt, obwohl Politiker verschiedenster Couleur, wie zuletzt Bundespräsident Joachim Gauck, immer wieder offensiv für Einsätze werben, lehnen die Bundesbürger diese weiter mehrheitlich ab.
Die Vereinbarung der Bundespsychotherapeutenkammer mit der Bundeswehr wurde im Namen der Kammermitglieder abgeschlossen. PsychotherapeutInnen sind Zwangsmitglieder der Kammer. Eine öffentliche Diskussion unter den Mitgliedern über die Vereinbarung gab es aber nicht. Wie viele andere PsychotherapeutInnen sehen wir in der Vereinbarung ein Bekenntnis der Kammer zu einer kriegerischen deutschen Außenpolitik. Wir fühlen uns in diesem Punkt von der Kammer nicht vertreten.
Wir fordern Sie daher auf, die ohne Zustimmung der Kammermitglieder abgeschlossene Vereinbarung aufzukündigen sowie die dieser zugrundeliegenden Verträge und Absprachen zu veröffentlichen und sich einer Diskussion mit den Mitgliedern über Ihre Kooperation mit der Bundeswehr zu stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Vorstand: Prof. Dr. K.-J. Bruder, Dr. Ch. Bialluch, Jörg Hein
Erstunterzeichnende
Dr. Klaus Mucha, Diplom-Psychologe
Dr. Andreas Peglau, Psychologischer Psychotherapeut / Psychoanalytiker
Dr. Almuth Bruder-Bezzel, Psychologische Psychotherapeutin / Psychoanalytikerin
Franz Witsch, Sozialwissenschaftler
Birgit Wiegand, Diplom-Psychologin / Psychologische Psychotherapeutin
Lars Winnig, Soziologe, Diplom-Psychologe
Karl-Heinz Opper, Diplom-Psychologe
Dr. Ulrich Kobbé, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Dr. Hans Hermsen, Diplom-Psychologe
Frank Hägele, Diplom-Psychologe
Prof. Dr. Morus Markard, Diplom-Psychologe
Eni Qirjako, Diplom-Psychologin
Dr. Bernd Nitzschke, Psychologischer Psychotherapeut/Psychoanalytiker
PD Dr. med. Werner Köpp, Ärztlicher Psychotherapeut/Psychoanalytiker
Andrea Höhn, Diplom-Sozialwissenschaftlerin
Eva König-Werner, Doktorandin Sozialwissenschaften
Prof. Dr. Rudolph Bauer, Sozialwissenschaftler
Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel, Ärztliche Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin
Emanuel Schmider, Diplom-Psychologe
Karin van Riesen, Psychologische Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin
Freia Rinaldo, Psychologische Psychotherapeutin
Marianne Sörensen-Bauer, Diplom-Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin
Prof. Dr. Harald Witt
Ingrid von Hänisch, analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin
Charlotte Schönfeldt, Diplom-Pädagogin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Kunst- und Gestaltungstherapeutin;
Prof. Dr. phil. Alf Schönfeldt
Wolfgang Holz, Pädagoge
Karin Kirchdörfer-Hummel, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin
Prof. Dr. Hans-Peter Michels, Psychologischer Psychotherapeut
Bernd Leuterer, Diplom-Psychologe
Prof. Dr. Dr. Günter Zurhorst, Psychologischer Psychotherapeut
Dr. phil. Wolfgang Hegener
Dino Lehmann, Diplom-Psychologe
Sigrid Dümmlein, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin
Martina Stang, Diplom-Psychologin, Psychoanalytikerin
Dr. Ute Osterkamp, Diplom-Psychologin
Margarete Hoerner, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Univ.-Doz. Dr. Ralph Sichler
Dr. Ulrike May, Psychoanalytikerin
Prof. Dr. H. Stubbe, Diplom-Psychologe
W. Henschen, Psychologischer Psychotherapeut
Philine Hennecke
Thomas Pappritz, Diplom-Psychologe
Friederike Dreyer, Diplom-Psychologin
Annett Wedemeyer, Diplom-Psychologin
Imke Dierks, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Jan Kassel, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Prof. Dorothee Roer, Diplom-Psychologin
Rainer Weber-Thammasut, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Marcus Beyer, Diplom-Psychologe
Dr. Maria Sommer
Albert Fischer, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Elène Misbach, Diplom-Psychologin
Prof. Dr. Ulrike Eichinger, Diplom Sozialarbeiterin
Elisabeth Bialluch, Diplom-Psychologin, analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin
Marianne Kestler, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin
Johannes Geffers, Diplom-Psychologe
Reiner Kröhnert, Kabarettist
Jascha Jaworski, Diplom-Psychologe
Rosemarie Straub, Diplom-Psychologin
Gisela Roghé, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Ingrid Maria Heitkämper, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin
Jutta Willmann, Diplom-Psychologin
Dr. Ludger Nohr, FA f. Psychosomatische Medizin, FA f. Kinderheilkunde, Psychoanalytiker
Dr. phil. Hans-Peter Brenner, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Ilse Schütte-Kronauer, Diplompsychologin
Prof. Dr. phil. Angelika Ebrecht-Laermann, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin
Astrid Hofmann, Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Peter Döring, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker
Dr. Klaus Ohm, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker
Klaus Otto, M. A. Klinische Sozialarbeit
Hildegard Wittenzellner, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Lea Willer, Diplom-Psychologin
Ayelet St. Savilla, Diplom-Psychologin
Claudia Reimer, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Wenn Sie den Brief ebenfalls unterzeichnen möchten, schicken Sie eine entsprechende Email an vorstand(at)ngfp.de.
Der ganze Brief als pdf-Dokument: NGfP_2014_Offener_Brief_an_den_Praesidenten_der_BPtK
(Achtung: Das pdf-Dokument enthält nur die Namen der Erstunterzeichnenden.)